Weshalb Al Gore nicht die Welt rettet

– Kategorie: Sonstiges – Lesedauer: 10.6 Minuten
Für die Frage, wie sich Mitarbeiter*innen für nachhaltiges Verhalten am Arbeitsplatz motivieren lassen, gibt Paul in seinem Essay zu seiner Dissertation konkrete Handlungsempfehlungen. Thema seiner Dissertation ("What Would Levin Do? How to Elicit and Maintain Change Readiness in Groups") ist das Erzeugen einer Veränderungsmotivation in Gruppen am Beispiel von Energiesparen in Organisationen.

In Zeiten schmelzendender Polkappen ist sich die Mehrheit der Menschen bewusst, dass sie nachhaltiger Leben sollten. Leider resultiert aus dieser Erkenntnis selten eine Änderung des tatsächlichen Verhaltens. Dies ist besonders am Arbeitsplatz der Fall. Viele Beschäftigte fragen sich, weshalb sie am Ende jeden Arbeitstages unter den Schreibtisch klettern sollten, um die Mehrfachsteckdose auszuschalten, wenn unmittelbar nur der Arbeitgeber von den Einsparungen profitiert.

Daher ist es notwendig Interventionen zu entwickeln, die Mitarbeitende motivieren und befähigen mehr umweltbewusstes Verhalten zu zeigen. Als eine Lösung habe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit den Einsatz von Motivational Interviewing (MI; deutsch: Motivierende Gesprächsführung) vorgeschlagen. Hierbei handelt es sich um einen Gesprächsansatz, der auf Bill Miller zurückgeht und ursprünglich entwickelt wurde, um Personen mit auffälligem Alkoholkonsum bei einer Verhaltensänderung zu begleiten. Seitdem hat sich MI in der klinischen Psychologie etabliert.

Ich habe empirisch getestet, inwiefern sich dieser Ansatz auch für die Arbeit mit nicht-klinischen Gruppen eignet und auf den organisationalen Kontext transferiert werden kann. Bevor ich die Ergebnisse meiner Dissertation berichte, möchte ich darauf eingehen, welche Barrieren „grünem“ – und speziell energiesparendem – Verhalten in Organisationen im Wege stehen und warum eine psychologische Perspektive hilft zu verstehen, wie Menschen für eine Verhaltensänderung gewonnen werden können.
Das Essay endet mit konkreten Handlungsempfehlungen für diejenigen, denen daran liegt, den Energieverbrauch in Organisationen zu senken.

Barrieren für energieeffizientes Handeln am Arbeitsplatz

Im Vergleich zur Forschung, wie sich Menschen im privaten Bereich für Energieeinsparungen gewinnen lassen, wird der organisationale Kontext meist stiefmütterlich behandelt. Dabei sollte der Arbeitskontext mehr Aufmerksamkeit bekommen, da hier spezifische Barrieren nachhaltigem Verhalten im Wege stehen, unter anderem:
Konflikte zwischen „grünen“ und wirtschaftlichen Zielen: Nachhaltigkeit und Energieeinsparung sind selten die vorrangigen Ziele einer Organisation. Daher haben viele Organisationen Mühe, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf nachhaltiges Handeln abzustimmen.
Mangelndes Feedback zum individuellen Verbrauch: Der Energieverbrauch im organisatorischen Kontext ist nicht transparent, sodass Mitarbeitende wenig über ihren eigenen Verbrauch wissen. Messungen des individuellen Verbrauchs würden jedoch Rückschlüsse über die Arbeitszeiten geben und stünden im Konflikt mit dem Datenschutz.
Verantwortungsdiffusion: In einer Gruppe orientieren wir uns an den Aktionen anderer. Wenn alle anderen das Licht beim Verlassen des Konferenzraumes anlassen, warum sollte ich es dann ausschalten?

Der soziale Kontext

Die meisten Arbeitsplätze befinden sich nicht in einem „sozialem Vakuum“, sondern unser Handeln hat Auswirkungen und ist abhängig von dem Handeln unser Kolleg*innen. Daher ist es weder praktisch (in Bezug auf Zeit und Geld) noch erfolgsversprechend Vier-Augen-Gespräche zu suchen. Wenn bspw. Maßnahmen mit Mitarbeiterin A gefunden wurden, mag Mitarbeiter B diese als nicht akzeptabel ansehen, was weitere Diskussionen nach sich ziehen kann.
Bei der Arbeit mit Gruppen sollte beachtet werden, dass diese keine starre Einheit sind und Kräfte entwickeln, die sich nicht durch die Zusammenstellung der Einzelindividuen vorhersagen lassen. Um diese Kräfte in gewünschte Bahnen zu lenken, brauchen Gruppen Freiräume, um selbstbestimmt Veränderungsbereitschaft zu entwickeln. Wie in der SBT beschrieben, sollten die Mitarbeitenden hierbei Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit verspüren. Damit diese drei Bedürfnisse befriedigt werden, sollten Mitarbeitende nicht nur informiert werden, sondern bei der Generierung von Energiesparmaßnahmen an ihrem Arbeitsplatz partizipieren.

Solch eine Einbeziehung der „Betroffenen“ führt zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema und berücksichtigt, dass die Maßnahmen dem Kontext entsprechen. Z.B. könnten allgemeine Vorschläge wie „Heizung runterdrehen“ Reaktanz bei Mitarbeitenden auslösen, die in einem Büro mit Zentralheizung sitzen. Entsprechend habe ich in den Workshops meiner Doktorarbeit auf eine größtmögliche Beteiligung der Teilnehmenden geachtet und die Workshops partizipative Interventionen (PI) genannt.
In einer Gruppe kann es entweder zu dysfunktionalen „Jammerzirkeln“ kommen oder die Gruppenmitglieder bekräftigen sich gegenseitig in ihrer Veränderungsmotivation. Um daher die Gruppendynamik in eine gewünschte Richtung zu lenken, sollte während der PI die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden auf mögliche Lösungen gelenkt werden. Als Grundlage hierfür bietet sich MI an.

Motiviational Interviewing

MI beruht auf der Annahme, dass Menschen keine Verhaltensänderung aufgezwungen werden kann. Zumindest nicht, wenn diese von Dauer sein soll. Stattdessen müssen die Gründe, die für eine Veränderung sprechen, von den Klient*innen selbst gefunden werden. Ebenso sollten diese die Wege, wie sie ein Veränderungsziel erreichen, selbst erarbeiten. Dieses Umdenken, dass nicht mehr Therapeut*innen die Expert*innen sind, sondern die Ressourcen der Klient*innen geweckt werden sollten, setzt sich in der klinischen Psychologie zunehmend durch. Aufgrund dieses positiven, humanistischen Menschenbildes ist MI prädestiniert auch in nicht-klinischen Kontexten Veränderungsmotivation aufzubauen. Daher nutze ich im Folgenden den Begriff „Veränderungsagent*innen“ statt Therapeut*innen, um diejenigen zu beschreiben, die die Bereitschaft für nachhaltiges Verhalten in Organisationen steigern möchten.

MI als zielorientierter Kommunikationsstil lenkt die Aufmerksamkeit der Mitarbeitenden auf Lösungen, anstatt sich mit vordergründig bestehenden Problemen zu widmen. Gerade in Veränderungsprozessen in denen Neues ausprobiert wird, rücken die Nachteile und negativen Aspekte einer Veränderung schnell ins Bewusstsein. Dabei sind es positive Emotionen, die unser Gedanken- und Handlungsrepertoire erweitern und helfen neue Ressourcen aufzubauen. Daher ist Hauptaufgabe der Veränderungsagent*innen, die Aufmerksamkeit auf Faktoren zu lenken, die den Mitarbeitenden helfen sich auf die mit einer Änderung verbundenen Vorteile zu konzentrieren. Hierfür setzt MI darauf, selektiv die Pro-Veränderungsäußerungen der Mitarbeitenden zu verstärken, sodass sich diese selbst in eine Veränderungsbereitschaft reden („ich lerne was ich denke, während ich mich sprechen höre“). Um dies zu veranschaulichen, zeigt die folgende Tabelle den Unterschied zwischen einer problem- und lösungsfokussierten Interaktion:

Die Ausgangssituation ist in beiden Gesprächen identisch, eine Mitarbeiterin äußert Bedenken (=ist ambivalent), ob sich energiesparendes Verhalten problemlos in ihren Arbeitsalltag integrieren lässt. Doch während Veränderungsagentin 1 daran interessiert ist, warum eine Veränderung nicht funktioniert, versucht Veränderungsagentin 2 gezielt Veränderungsmotivation aufzubauen, in dem sie schon bestehende Motivation verstärkt und mögliche Lösungen exploriert.

Zusammenfassung der Dissertation

In meiner Dissertation habe ich in vier aufeinander aufbauenden Forschungsaufsätzen untersucht, wie sich die Motivation von Organisationsmitgliedern für nachhaltiges Verhalten steigern lässt.

Studie 1 ergab, dass MI als kollaborativer Kommunikationsstil, der sich bisher in klinischen Gruppen und nicht-klinischen, dyadischen Gesprächen bewährt hat, konkrete Kommunikationsmethoden liefert, die helfen, eine PI erfolgreich zu leiten. Ergebnisse basierend auf selbstberichteten Einstellungen und Verhalten sowie objektive Zählerdaten zeigten, dass dieser Ansatz dazu beiträgt das Energiesparverhalten der Mitarbeitenden zu erhöhen.

Um das Verständnis bezüglich der Mechanismen erfolgreicher PIs zu verbessern, konzentrierte sich Studie 2 auf die Internalisierung von energiesparendem Verhalten am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse eines quasi-experimentellen Designs zeigten, dass Proband*innen in einer PI-Bedingung eine autonomere Motivation bzgl. ihres Energiesparverhaltens entwickelten, als Proband*innen, die zunächst eine Präsentation zum Thema „Energiesparen an der Universität“ hörten und den Dokumentationsfilm An Inconvenient Truth von Al Gore sahen.

Studie 3, bestehend aus drei Substudien, leitete auf Grundlagen der SBT Verhaltensweisen für Veränderungsagent*innen ab, um zielführend mit Mitarbeitenden zu kommunizieren. Konkret wurde untersucht, ob die autonomieunterstützende (vs. -einschränkende) Kommunikation hilft Veränderungsbereitschaft hervorzurufen. Daten einer Onlinevignettenstudie (1. Teilstudie) zeigten, dass autonomieunterstützendes Verhalten die psychologischen Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit befriedigt. Diese Bedürfnisbefriedigung war wiederrum mit einer höheren Veränderungsmotivation assoziiert.
Die zweite Teilstudie zeigte, dass nur die autonomieeinschränkende, aber nicht die autonomieunterstützende Kommunikation die Änderungsbereitschaft der Gesprächspartner*innen beeinflusste. Die Ergebnisse der dritten Teilstudie suggerieren, dass Veränderungsagent*innen dazu neigen, mehr autonomieeinschränkende, als -unterstützende Kommunikation zu verwenden. Dies deutet darauf hin, dass Energiemanager dazu tendieren die Motivation von Mitarbeitenden für nachhaltiges Verhalten zu untergraben, statt zu fördern.

Studie 4 erweiterte den Fokus auf die Gruppenebene. Die Ergebnisse zweier Stichproben und aufwändiger Videoanalysen zeigten, dass die lösungsorientierte Kommunikation die Veränderungsbereitschaft in den PI stärkte. Um solche ansteckenden „Pro-Veränderungs-Sequenzen“ auszulösen, können Veränderungsagent*innen offene Fragen und Reflexionen nutzen, die einen Lösungsfokus etablieren. Darüber hinaus steigerten Änderungsaussagen eines Teilnehmers die Wahrscheinlichkeit für Pro-Änderungsaussagen des nachfolgenden Teilnehmers. Diese Ergebnisse liefern Hinweise für die Existenz von motivationalen Ansteckungsprozessen in Gruppen. Im Vergleich zu einer Informationsveranstaltung führte die PI auch einen Monat nach dem Workshop zu mehr selbstberichtetem Energiesparverhalten.

Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse meiner Dissertation unterstreichen, dass es nicht reicht Mitarbeitende zu informieren, dass Energieeinsparungen notwendig sind. Statt solch einer kommunikativen Einbahnstraße sollte lieber mit denjenigen, die später Änderungen umsetzen sollen, erarbeitet werden, wie sie dies erreichen können. Diese Auseinandersetzung führt dazu, dass die Teilnehmenden den Sinn der Veranstaltung verinnerlichen und so mit mehr Überzeugung ihr Verhalten ändern. Da die Ergebnisse meiner Dissertation zeigen, dass es für Veränderungsagent*innen im Feld schwer ist, nicht in eine belehrende Expertenrolle zu fallen, möchte ich im Folgenden zusammenfassen wie Energiemanager*innen, Führungskräfte oder engagierte Beschäftigte vorgehen können, um auf Augenhöhe mit den betroffenen Mitarbeitenden zu agieren. Die beiden Handlungsempfehlungen beziehen sich 1) auf den Kontext, in dem eine PI stattfindet und 2) auf die Kommunikation während der PI.

Equifinalität sicherstellen: Viele Wege führen nach Rom

Die meisten Arbeitsplätze (Labore, Büros, Fabrikhallen, etc.) sind zu verschieden, als dass es einen Königsweg zur maximalen Energieeffizienz gäbe. Daher sollte die PI ein rahmengebendes Gerüst darstellen, in dem die Mitarbeitenden eigenständig die Lösungen erarbeiten können, die für sie akzeptabel sind und in die regulären Arbeitsabläufe integriert werden können. Der Handlungsspielraum, dass ein angestrebtes Ziel („Energiesparendes Verhalten steigern“) auf verschiedene Wege erreicht werden kann, nennt sich Equifinalität. In meiner Doktorarbeit (Studie 1) habe ein Konzept für einen zweistündigen Workshop erarbeitet, welches als Gerüst für solch eine PI dienen kann und sich auch auf andere Veränderungsthemen übertragen lässt.
In zieloffenen Workshops können die Teilnehmenden die Herausforderung aus einer ganzheitlicheren Perspektive betrachten. Dies bietet die Gelegenheit, dass sich die Mitarbeitenden in einen Veränderungsmodus reden. Insofern sollte eine Änderungsmaßnahme nicht für Mitarbeitende, sondern mit diesen durchgeführt werden. Wenn Veränderungsagent*innen diese Haltung verinnerlichen, fällt es ihnen leichter ohne Druck, sondern lösungsfokussiert zu kommunizieren.

Lösungsfokussiert durch Gruppensettings steuern

Leider lassen sich die meisten Menschen nicht „wachrütteln“ und besonders engagierte Veränderungsagent*innen erzielen keine besseren Ergebnisse, wenn sie versuchen die Mitarbeitenden „logisch“ und „ganz rational“ für mehr Energieeinsparungen zu überzeugen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Veränderungsagent*innen den Mitarbeitenden einen Schritt voraus sind: Während für diese die Vorteile energiesparenden Verhaltens offensichtlich sind, mögen für jene zunächst die Nachteile, die mit solch einem Vorschlag einhergehen, offensichtlicher sein. Als Folge reden sich die Mitarbeitende dann in eine Abwehrhaltung („Ich argumentiere gegen Energiesparverhalten, also finde ich es nicht wichtig“).
Um solche dysfunktionalen Interaktionen zu vermeiden, zeigen die Ergebnisse meiner Doktorarbeit, dass Veränderungsagent*innen darauf vertrauen können, dass die Mitarbeitenden eine Ambivalenz gegenüber dem Thema verspüren und dann die Gründe, die bereits für eine Veränderung sprechen, verstärken können.
Zudem zeigen die Ergebnisse von Studie 4, dass die Aussagen der Teilnehmenden einer PI von den Aussagen der anderen Gruppenmitglieder abhängen. Dies bedeutet, dass nicht nur Veränderungsagent*innen auf die Gruppe einwirken, sondern sich auch die Gruppenmitglieder gegenseitig beeinflussen. Anstelle visionärer Reden über die Bedeutung „grünen“ Verhaltens, erscheint es daher vielversprechender die Ideen und Bedürfnisse der Kolleginnen zu berücksichtigen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, die für eine gesamte Abteilung tragbar sind. In diesem Sinne schlage ich vor, dass sich Veränderungsagentinnen als Dirigenten verstehen sollten. Ihre Aufgabe besteht darin ein geeignetes Orchester zusammenzustellen und die notwendigen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Während des Stücks müssen sie darauf achten, dass die Musiker*innen im Takt bleiben - doch „spielen“ müssen diese alleine.


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Paul Endrejat
Gründer, Coach & Organisationsentwickler

Paul hat in Potsdam und Utrecht Psychologie studiert und an der TU Braunschweig zum Thema Veränderungsmotivation promoviert. Seine Forschungsinteressen sind die Motivierende Gesprächsführung, Design Thinking, Job Crafting und die Steigerung des umweltbewussten Verhaltens. Bzgl. der Organisationsentwicklung interessiert ihn besonders, wie sich eine Innovationskultur etablieren lässt und was wir von "Klassikern" wie Kurt Lewin lernen können

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